Am 3. April wurde auf ATV eine Diskussion zum Thema "Rekordarbeitslosigkeit bei Jugendlichen - Wie entschärft die EU die tickende Zeitbombe?" ausgestrahlt. Zu den Diskussionsteilnehmern gehörten Dr. Stephan Schulmeister und die Präsidentin des Wiener Hayek-Institutes Dr. Barbara Kolm. Wer gehofft hatte, dass Dr. Kolm ein überzeugendes Plädoyer für die Vorteile einer liberalen Marktwirtschaft halten würde, musste sich enttäuscht fühlen. Während Dr. Schulmeister recht leidenschaftlich seine Vision einer besseren Welt darstellte, begnügte sich Dr. Kolm mit modellhaften Standardargumenten. Unten ist als Reaktion darauf mein Schreiben an Dr. Kolm.
Sehr geehrte Frau Dr. Kolm,
als Hayek-Verehrer war ich gestern bei der TV-Diskussion
enttäuscht, dass Sie keine starken Argumente für die Causa einer liberalen
Marktwirtschaft gebracht haben. Ehrlich gesagt, wenngleich meine Denke fast
diametral jener von Dr. Schulmeister gegenübersteht, fand ich ihn trotzdem
streckenweise überzeugender in der Diskussion.
Sie wiederholten die klassischen Argumente: Staatsausgaben
in der Griff bekommen, Reformen umsetzen und die Wirtschaft nach außen öffnen
--- und dann einfach warten, bis Wunder geschehen. Sie übersehen dabei jedoch
den wichtigsten Punkt von allen, nämlich die Frage: in wieweit passt dieses
Modell zur jeweiligen Gesellschaft. Wenn es passt, dann werden sich Erfolge
rasch einspielen. Wenn nicht, dann wird es eher einen Bumerang geben.
Ich erlebte Chile in den frühen 1980er Jahren als Leiter der
Niederlassung einer amerikanischen Großbank. Durch meine Position hatte ich
Zugang zu und persönliche Beziehungen mit allen wesentlichen Chicago-Boys vom
Finanzminister abwärts. Für mich ist das, wofür die Chicago-Boys damals den
Grundstein gelegt hatten, bis heute weltweit unübertroffen. Es hat seither auch
noch keine chilenische Regierung, weder von links noch von rechts, es gewagt,
an den Grundprinzipien dieses Modells etwas zu ändern.
Miton Friedman’s Laborexperiment hätte komplett schiefgehen
können. Es wurde m. E. aus einem einzigen Grund eine reine Erfolgsstory: die
Chilenen waren von der Mentalität her optimale ‚Versuchskaninchen‘. Die
Chilenen sind ein aufgeschlossenes und aufgeklärtes Volk. Sie wollen sich stets
verbessern und sind nahezu süchtig, von anderen zu lernen. Sie betrachten es
als Auszeichnung und Vertrauensvotum, wenn ausländische Investoren ins Land
kommen. Sie machen eine objektive Analyse ihrer Stärken/Schwächen und bauen
darauf ihr Geschäftsmodell auf. Etc. etc.
Mein Thema ist Griechenland, weil ich seit knapp 40 Jahren
mit einer Griechin verheiratet bin und das Land gut kenne. Deswegen führe ich auch einen recht
gut frequentierten Blog über Griechenland. Mit den anderen Problemländern
der Eurozone beschäftige ich mich nur am Rande. Ich glaube auch, dass
Griechenland nicht wirklich mit anderen Ländern vergleichbar ist.
Man könnte meinetwegen über Nacht den Griechen alle
Staatsschulden erlassen, das Budget auf plus/minus Null stutzen und sämtliche
Branchen liberalisieren --- es würde die große Veränderung/Verbesserung nicht bringen.
Die Griechen sind so ziemlich das Gegenteil von den Chilenen. Unsicher, ob sie
wirklich dem rationalen Westen (anstelle des eher mystischen Ostens) zugehören;
misstrauisch gegenüber allem, was aus dem Ausland kommt; misstrauisch gegenüber
allem, was mit dem Wort Kapitalismus in Verbindung gebracht werden kann; etc.
etc. Vor allem: dort, wo sich die Chilenen dafür begeistern konnten, sich aus
dem Dreck der 1970er Jahre aus eigener Kraft zu ziehen, neigen die Griechen
dazu, sich eher noch mehr in den Dreck zu vertiefen, damit das Unglück größer
wird und damit sie andere für ihr Unglück beschuldigen können. Das ist eine
Frage der Mentalität.
Bitte beachten Sie, dass es in Griechenland keine
Reformation, keine Aufklärung und keine industrielle Revolution gegeben hat.
Während die Mitteleuropäer jahrhundertelang fast ununterbrochen Kriege führten
und im Zuge dessen fast ununterbrochen ihre Wettbewerbsfähigkeit steigerten,
gewöhnte sich die griechische Psyche an ein Untertanensein, wo man am besten
dran war, wenn man die Autorität bzw. den Staat hintergehen konnte.
Seit seiner Unabhängigkeit 1832 gab es meines Wissen kein
einziges Jahr, in dem Griechenland NICHT auf finanzielle Impulse aus dem
Ausland angewiesen war. Das moderne Griechenland wurde nach dem Bürgerkrieg von
Gastarbeitern aufgebaut. Von 1950-72 waren die Rücküberweisungen der
Gastarbeiter BEI WEITEM die größte Devisenquelle des Landes (wesentlich größer
als Fremdenverkehr und/oder Schifffahrt). Als die Gastarbeiterrücküberweisungen
abflauten, wurden sie nahtlos von EU-Förderungen und seit dem Euro von billigen
Krediten abgelöst. Griechenland hatte nie eine nennenswerte Industrie. Was es
jemals davon hatte, wurde durch den Euro weitgehend ausradiert.
Griechenland ist über weite Strecken noch ein
Entwicklungsland. Zumindest zwei der vier EU-Freiheiten (freier Güter- und
Kapitalverkehr) sind Freiheiten, mit denen die griechische Wirtschaft nicht von
heute auf morgen fertig werden kann. Man kann sich natürlich fragen, was ein
solches Land in der EU und Eurozone verloren hat, aber diese Frage ist heute zu
spät. In Wirklichkeit braucht Griechenland Entwicklungshilfe in weiten Gebieten
des wirtschaftlichen, öffentlichen und politischen Lebens. Und zu meiner großen
Enttäuschung höre ich von Ihnen nicht viel mehr als die Standardvorschläge des
ordentlichen Haushaltens und des Liberalisierens der Wirtschaft.
Griechenland kann nur gerettet werden (und die Kredite an
Griechenland können nur gerettet werden), wenn man sich kreative Incentives
einfallen lässt, wie man Wertschöpfung ins Land bringt. Die Schulmeisters
dieser Welt denken sofort an öffentliche Ankurbelungsprogramme. Das eine oder
andere öffentlich finanzierte Infrastrukturprojekt mag schon sinnvoll sein, man
muss sich dabei aber bewusst sein, dass durch solche Projekte auch die Guthaben
auf Auslandskonten einflussreicher Griechen steigen.
Der Chef der deutschen Allianz-Gruppe hatte vor ca. 2 Jahren
einmal den Satz geprägt, auf den es ankommt. Er sagte sinngemäß: „Wir müssen
schauen, dass wir einen Teil unserer Auslandsinvestitionen umschichten vom
Osten und Fernosten in Richtung Süden“ (sprich: nach Griechenland). Damit ist
fast alles gesagt, aber niemand in der EU – auch Sie nicht! - redet
darüber.
Griechenland hat es geschafft, seine internen und externen
Konten ins Gleichgewicht zu bringen: das Primärbudget und die Leistungsbilanz
verzeichnen bereits geringe Überschüsse. Ergebnis: Arbeitslosigkeit in Richtung
30%. Ein wirtschaftlicher Laie kann daraus schließen, dass die griechische
Wirtschaft in ihrer derzeitigen Struktur ihre Bevölkerung nicht ausreichend
beschäftigen kann, wenn die internen und externen Konten ausgeglichen sind.
Man werfe einen kurzen Blick auf die griechische
Zahlungsbilanz und man sieht, dass die griechische Wirtschaft Geld aus dem
Ausland braucht wie der Mensch den Sauerstoff zum Atmen. Da dieses Geld nicht
mehr in ausreichendem Maße in der Form von zinstragenden und rückzahlbaren
Krediten kommen wird, MUSS es in der Form von Auslandsinvestitionen kommen.
Es wäre ein Leichtes (und äußerst Kostengünstiges!) für die
EU, sich Incentives einfallen zu lassen, wie privates Investitionskapital
freiwillig nach Griechenland fließen könnte. Man müsste beispielsweise nur
Haftungsrahmen à la Kontrollbank für solche Investitionen einräumen.
Meinetwegen zum Nulltarif. Die Haftungen müssten das gesamte politische Risiko
beinhalten (inklusive das Grexit-Risiko), nicht aber das wirtschaftliche
Risiko. Und von den Griechen müsste man verlangen, dass sie mittels
Investitionsgesetz den Auslandsinvestoren jene Rahmenbedingungen zusagen
(meinetwegen nur in Sonderwirtschaftszonen), die sich Auslandsinvestoren
wünschen. Keine besonderen Perks; einfach nur optimale Rahmenbedingungen. Wenn
diese Voraussetzungen gegeben sind, dann fließt privates Investitionskapital
von selbst.
Und zu solchen Überlegungen hätte ich von Ihnen gerne
Vorschläge gehört. Das waren die Überlegungen, welche die Chicago-Boys
seinerzeit in Chile angestellt hatten. Das wäre wirtschaftliche Aufbauhilfe,
die unsere Chancen erhöhen würden, jemals wieder etwas von unserem dorthin
geschickten Geld zu sehen.
In
diesem Papier hatte ich vor 3 Jahren zum ersten Mal meine Ideen
vorgeschlagen. In meinem Blog habe ich es mehrmals aktualisiert. Ich behaupte nicht, dass nur meine Ideen zum Ziel führen, aber ich
behaupte sehr wohl, dass es diese Themen sind, mit denen sich
Wirtschaftsliberale auseinandersetzen sollten/müssten, statt immer nur
modellhafte Standardformeln runter zu beten. Damit ist nur den Schulmeisters
dieser Welt geholfen!
Freundliche Grüße
Klaus R. Kastner
Mit Genuß und Belehrung gelesen!
AntwortenLöschenBesten Dank & freundliche Grüße!