Donnerstag, 8. Mai 2014

"Atlas Shrugged" - Ayn Rand

Atlas Shrugged wurde 1957 von Ayn Rand veröffentlicht. Der Titel leitet sich aus der griechischen Mythologie ab, wo der Gigant Atlas die Welt auf seinen Schultern trug und unter der Last litt. Im Buch sind es die Wertschöpfer (konkret: die Industriellen), die in der heutigen Zeit die Last der Wohlstandsschaffung auf ihren Schultern tragen und von den staatlichen Umverteilern permanent mit Steuern/Abgaben bestraft, wenn nicht sogar via gesetzliche Interventionen teilweise enteignet werden. Die These des Buches ist, dass Atlas einfach mit der Schulter zucken („to shrug“) und die Welt fallen lassen sollte. Die Wertschöpfer sollten in Streik gehen, damit die Sozialschmarotzer sehen, wie es ihnen ohne die Wertschöpfer geht.

Vor allem in den USA hat sich ein Mythos um Atlas Shrugged gebildet. Von manchen wird behauptet, dass es nach der Bibel das meist verkaufte Buch ist. Auf jeden Fall gilt es als eines der einflussreichsten politischen Bücher des 20. Jahrhunderts. Viele konservative Amerikaner sehen es als das kapitalistische Äquivalent zum Kommunistischen Manifest von Marx & Engels und haben das Buch in Kultstatus erhoben. Seit der Finanzkrise sind die Verkaufszahlen des Buches wieder rasant angestiegen.

Der österreichische Nationalökonom Ludwig von Mises schrieb der Autorin kurz nach Veröffentlichung des Buches folgendes: „Atlas Shrugged ist mehr als nur ein Roman. Es ist auch (oder sollte ich vielleicht sagen, es ist vor allem?) eine überzeugende Analyse jener Übel, die unsere Gesellschaften plagen; eine fundierte Absage der Ideologie unsere selbsternannten ‚Intellektuellen‘ und eine schonungslose Entlarvung der Unaufrichtigkeit der Politik unserer Regierungen und politischen Parteien. Sie haben den Mut bewiesen, den Menschen das zu sagen, was ihnen kein Politiker sagen würde, nämlich: ‚Ihr seid minderwertig; jede Verbesserung Eures Lebensstandards, die Ihr für selbstverständlich erachtet, schuldet Ihr jenen, die tüchtiger sind als Ihr!‘“ (es überrascht nicht, dass Atlas Shrugged von Intellektuellen, auch von Intellektuellen des konservativen Lagers, abgelehnt bzw. ‚vernichtet‘ wurde und nach wie vor wird).

Der Grundbaustein der Autorin Ayn Rand, auf dem alles andere aufbaut, ist der Verstand des Menschen; die Fähigkeit des Menschen, rational zu denken („reason“). Im Reich des Verstandes gibt es keine wirklichen, sondern bestenfalls wahrgenommene Widersprüche. Dort, wo Widersprüche wahrgenommen werden, liegt die Ursache bei fehlerhaften Prämissen, die es mit dem Verstand zu überprüfen gilt. Check your premises! ist der Wahlspruch des Buches. An der Einhaltung dieses Wahlspruches muss auch das Buch gemessen werden.

Darüber hinaus ist im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Autorin auch die Frage, in wieweit sie selbst in ihrem persönlichen Leben nach der von ihr leidenschaftlich vertretenen Philosophie lebte, von überragender Bedeutung. Einem Alkoholiker ist es gestattet, mit einem Bier in der Hand andere vor dem Alkoholkonsum zu warnen. Immerhin kann er andere glaubhaft davor warnen, so zu werden wie er. Ein fanatischer anti-Alkoholiker hingegen, der den Alkoholkonsum verteufelt,  darf niemals mit einem Bier in der Hand ertappt werden. Ein solcher Faux-pas wäre weder rational noch moralisch vertretbar. Schon gar nicht bei einem Philosophen bzw. ‚Prediger‘ einer neuen Moralität. Dieser muss die von ihm selbst postulierten Maßstäbe einer neuen Moral beispielhaft vorleben. Der von Ayn Rand entwickelte Objektivismus erlaubt keinen Unterschied zwischen Theorie und Praxis; zwischen den Überzeugungen eines Menschen und seinen Handlungen.

Laut Ayn Rand ist es der Verstand, der den Menschen dazu bringen muss, sich von herkömmlichen (falschen bzw. zu verurteilenden) Moralvorstellungen zu lösen und zu erkennen, dass es nicht das öffentliche  bzw. gemeinschaftliche Interesse, sondern nur das Eigeninteresse ist, das dem Menschen den pursuit of happiness ermöglicht. Der Einzelne darf nicht erwarten, dass andere auf einen Teil ihres Lebens verzichten, um ihn glücklich zu machen. Er darf auch nicht auf einen Teil seines Lebens verzichten, um andere glücklich zu machen. Sich selbst glücklich zu machen, ist die größte Verantwortung des Menschen sich selbst gegenüber.  Herkömmliche Moralvorstellungen, so Ayn Rand, sehen es als menschliche Pflicht, anderen zu dienen; möglicherweise sich sogar im Zuge dessen für andere aufzuopfern. Für Ayn Rand gibt es dafür keine rationale Erklärung bzw. Rechtfertigung.

Schon Adam Smith hat den rational self-interest als Antrieb der Wertschöpfung erkannt. Das ist für Ayn Rand nicht deutlich genug – sie pocht auf Egoismus pur. Nicht Gefühle bestimmen zwischenmenschliche Beziehungen, sondern rationale Überzeugungen. Man liebt seinen Partner, weil man rational davon überzeugt ist, dass er es verdient, geliebt zu werden. Nur aus diesem gleichen Grund darf man erwarten, von seinem Partner geliebt zu werden. Das Selbstwertgefühl bedeutet, dass man sich wert fühlt, geliebt zu werden. Hat man dieses Gefühl nicht (bzw. hat man es sich nicht auf rationale Weise erarbeitet), dann verdient man nicht, geliebt zu werden. Würde man trotzdem Liebe erwarten, dann würde das von anderen verlangen, dass sie unverdiente Liebe schenken. Altruismus statt Egoismus. Selbstverzicht statt Eigeninteresse (“Self-sacrifice is the precept that man needs to serve others, in order to justify his existence. That his moral duty is to serve others. That is what most people believe today”).

Daraus leitet sich Ayn Rand’s philosophisches Gelübde ab: “I swear by my life and my love of it that I will never live for the sake of another man, nor ask another man to live for the sake of mine.” Eine doppelte Verneinung als Basis des pursuit of happiness? „Sag ‚nein‘ zum Leben“ statt „Sag ‚ja‘ zum Leben“? Check your premises, Ms. Rand! Sind es Verneinungen, die zum Glück führen oder Bejahungen? Aus dem Buch muss man schließen, dass Verneinungen eher zu Selbstquälerei führen. Die Helden des Buches kämpfen über weite Strecken mit sich selbst. Sie quälen sich bei ihrem pursuit of happiness. In Wirklichkeit kommt happiness im Buch fast nie vor.

Was ist die Quelle von Ayn Rand’s Philosophie? „ My own mind, with the sole acknowledgement of a debt to Aristotle, who is the only philosopher that ever influenced me. I devised the rest of my philosophy myself”. Check your premises, Ms. Rand! Friedrich Nietzsche hat in seiner Generalattacke auf das Christentum den Begriff der “Umkehrung aller Werte” geprägt. Es war das Christentum, so Nietzsche, das dem Menschen die schlimmsten aller Krankheiten beschert hat – das schlechte Gewissen; die Verantwortung für die Erbsünde; die zwangshafte Selbstaufopferung und altruistische Nächstenliebe; die Selbstkreuzigung als Tilgung einer Schuld von unbeteiligten Dritten (die diese Tilgung gar nicht verlangt hatten); etc. Laut Nietzsche hat das Christentum die starken Germanen nicht im harten Kampf erobert, sondern dadurch, dass es sie psychisch krank gemacht hat. Ayn Rand war das nicht bekannt? Natürlich war ihr Nietzsche bestens bekannt, sonst hätte sie ihn nicht ablehnen können. Aber trotzdem war Ayn Rand von Nietzsche nicht beeinflusst? Check your premise, Ms. Rand!

Das Gebot des rationalen Denkens als Voraussetzung für den „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ ist spätestens seit Immanuel Kant bestens bekannt. Unmündigkeit ist, so Kant, „das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen“. Ayn Rand bezeichnete Kant als ‚Monster‘, weil sie ihm die Absicht unterstellte, den rationalen Verstand des Menschen töten zu wollen. Check your premise, Ms. Rand! “My philosophy, in essence, is the concept of man as a heroic being, with his own happiness as the moral purpose of his life, with productive achievement as his noblest activity, and reason as his only absolute”, schreibt Ayn Rand. Wo genau unterscheidet sie sich da von Kant?

Die knapp 1.200 Seiten des Buches haben mich aufgewühlt und mich veranlasst, umfangreiche Recherchen über Ayn Rand und ihre Philosophie zu machen. Ich verspürte gewissermaßen einen Ayn-Rand-Kult und fühlte mich teilweise sogar darin verfangen. Innere Intuitionen wurden getroffen und Emotionen wurden geweckt. Wäre ein John-Galt-Express mit leidenschaftlichen Objektivisten vorbeigefahren, wäre ich vielleicht spontan aufgesprungen. Dann erinnerte mich jedoch mein Verstand an den Wahlspruch Check your premises!

Das Buch handelt vom Konflikt  zwischen den Guten (den Wertschöpfern, den ‚job creators‘) und den Bösen (den staatlichen Umverteilern, den Schmarotzern; teilweise sogar den Gutmenschen) in der Gesellschaft. Die Wertschöpfer gehen in Streik und die Schmarotzer müssen erfahren, wie schlecht es ihnen ohne die immer verteufelten Wertschöpfer geht. Hank Rearden, Dagny Taggart & Co. sind die heroischen (wenngleich egoistischen) Vertreter der Wertschöpfer in nahezu übermenschlicher Perfektion. Wesley Mouch, Dr. Ferris & Co. sind die widerwärtigen Vertreter der Schmarotzer in geradezu tollpatschiger Form. Check your premises! Entsprechen Rearden & Co. den Wertschöpfern der heutigen Zeit? Sind Mouch & Co. repräsentativ für die heutigen Schmarotzer?

Auf der Suche nach einem aktuellen Beispiel der Wertschöpfer im Sinne von Ayn Rand bin ich bei Steve Jobs gelandet. Der hervorragenden Jobs-Biographie von Walter Isaacson kann man entnehmen, dass Jobs ein grenzenloser Egoist ohne jegliche Empathie war. Ein Mensch, der kompromisslos seine eigenen egoistischen Prinzipien verfolgte und dies auch von anderen einforderte; für den jedwede Form des Altruismus, des Mitgefühls für andere  fremd war; für den es nur ein Ziel gab – die Perfektion seiner Produkte (der Multi-Milliardär Jobs engagierte die teuersten Anwälte, um gegen ein Gerichtsurteil, für seine uneheliche Tochter 700 Dollar monatlich Unterhalt zu zahlen, anzukämpfen. Begründung: das Kind in die Welt zu setzen, war nicht seine Entscheidung gewesen. Im Gegenteil: es geschah sogar ohne sein Wissen. Ergo: er sei dafür nicht verantwortlich). Kurz: nach allen gängigen Moralvorstellungen war Steve Jobs ein widerwärtiger Menschentyp.

Und trotzdem: wäre Steve Jobs in jugendlichem Alter in Streik gegangen und/oder hätte er sich in eine buddhistische Kommune zurückgezogen, statt Apple zu gründen, dann hätten Millionen von Menschen nicht erleben können, was es bedeutet, ‚the power to be at your best‘ zu haben. Millionen von Menschen hätten nicht erfahren können, was ‚think different‘ bedeutet und zu welchen Hochleistungen es anspornen kann. Die Welt wäre ohne Steve Jobs eine ärmere gewesen. Ist das ein Beweis für die Gültigkeit von Ayn Rand’s These, dass egoistisches Handeln seitens der Wertschöpfer Gutes für die Menschheit bringt?

Ich meine nein. Wir wissen, wie viel Steve Jobs der Gesellschaft geben konnte, obwohl er nach allen gängigen Moralvorstellungen ein widerwärtiger Menschentyp war. Wir wissen jedoch nicht, wie viel mehr er hätte geben können, wenn er ein anderer Menschentyp gewesen wäre.

Ayn Rand vermittelt den Wertschöpfern à la Rearden & Co. die Bestätigung ihrer Opferrolle. Sie werden von undankbaren Parasiten ausgenützt und von begehrenden Regierungen unterdrückt. Check your premises, Ms. Rand! Wer sind in der heutigen Zeit die Wertschöpfer? In den USA sind es vor allem die oft zitierten  „top 1%“, die sich von Ayn Rand angesprochen bzw. bestätigt fühlen. Sind es Rearden & Co., die die diese „top 1%“ ausmachen? Nein! In diesen „top 1%“ sind Rearden & Co. eher die Ausnahme. Stattdessen sind es die Genies der Finanzintermediation, die CEOs von großen Kapitalgesellschaften und die Erben großer Vermögen, die das Gros der „top 1%“ ausmachen. Das sind die wahren Parasiten, die nur deshalb zu den „top 1%“ gehören, weil sie die Wertschöpfung anderer ausnützen und die Heerscharen von Lobbyisten beschäftigen, damit ihr Parasitendasein nicht gefährdet wird. Hank Rearden war besessen davon, den besten Stahl zu produzieren. Detto für Steve Jobs, dessen einziges Ziel es war, die schönsten elektronischen Produkte zu produzieren. Der Großteil der „top 1%“ ist jedoch besessen davon, die höchsten Renditen zu erzielen unabhängig davon, um welches Grundgeschäft in der Realwirtschaft es sich handelt. Sie würden sogar das Grundgeschäft ruinieren, wenn es der Rendite hilft.

Jene wenigen unter den „top 1%“, die tatsächlich noch so agieren wie ein Hank Rearden mit seinem Stahl; wie eine Dagny Taggart, die für ihre Geschäftsidee persönlich in die Haftung ging; jene, die tatsächlich an realer Wertschöpfung interessiert sind; wie agieren die? Wenn man Warren Buffett als Beispiel nimmt, dann kritisiert dieser, dass sein tatsächlicher, persönlicher Einkommenssteuersatz unter der Hälfte jenes seiner Sekretärin liegt. Wenn man Bill Gates als Beispiel nimmt, dann bringt dieser (wie auch Buffett) einen Großteil seines Vermögens in eine wohltätige Stiftung ein.

Mitt Romney hatte als Präsidentschaftskandidat 47% der Amerikaner Parasiten genannt, die von Sozialtransfers leben und deshalb Obama wählen. Er selbst zählte sich zu den Wertschöpfern à la Ayn Rand und prahlte, mit seiner Bain & Co. große Werte geschaffen und damit sein Vermögen aufgebaut zu haben, das er nun unter Ausnützung sämtlicher legaler Steueroasen bestens veranlagt. Ein Unternehmen wie Bain & Co. schafft keine realen Werte! Es verdient sein Geld damit, dass es eine in Schwierigkeiten geratene Rearden Metal billig kauft und einem anderen, der den Wert von Rearden Metal erkennt und der über die finanziellen Ressourcen verfügt, teuer weiterverkauft. Die Wertschöpfung von Rearden Metal verändert sich nicht; nur deren Nutznießer. Hank Rearden würde behaupten, dass Bain & Co. ihn bestohlen hat. Ellis Wyatt hätte seine Firma niedergebrannt, bevor Bain & Co. sie kaufen könnte.

Paul Ryan, Romney’s Kandidat zum Vize Präsidenten, deklarierte sich als Jünger von Ayn Rand. “I grew up reading Ayn Rand and it taught me quite a bit about who I am and what my value systems are, and what my beliefs are. It’s inspired me so much that it’s required reading in my office for all my interns and my staff”, so der ursprüngliche Ryan. Weiter: “The reason I got involved in public service, by and  large, if I had to credit one thinker, one person, it would be Ayn Rand”. Und: “I think Ayn Rand did the best job of anybody to build a moral case of capitalism, and that morality of capitalism is under assault”. Als Ryan Vize-Präsidentschaftskandidat wurde, hatte er eine plötzliche Erleuchtung: „I reject her philosophy. It’s an atheist philosophy. It reduces human interactions down to mere contracts and it is antithetical to my worldview. If somebody is going to try to paste a person’s view on epistemology to me, then give me Thomas Aquinas”. Wieder eine Umkehrung aller Werte? Diesmal von Ayn Rand zu Thomas von Aquin?

Viele konservative Republikaner sehen heute in Ayn Rand die Antwort auf die Probleme unserer Zeit. Sie brüllen lautstark „Ayn Rand was right!“ und verfechten gleichzeitig die These, dass Gott in der Tat die Erde in 6 Tagen erschaffen hat. Check Ayn Rand’s premises, dear conservative Republicans!

Ayn Rand lässt ihren Helden Ragnar Danneskjöld als Piraten auftreten, der staatliches Vermögen raubt, um es den vorher beraubten Wertschöpfern zurückzugeben. Danneskjöld’s größter Feind ist Robin Hood, der die Reichen beraubte, um es den ‚unwerten‘ Armen zu geben, die das Geld nicht verdient haben. Leider erkennt Danneskjöld nicht, dass er selbst ein Robin Hood ist; nur eben im umgekehrten Sinn. Beide wollen Gerechtigkeit, aber Gerechtigkeit ist auch eine Frage der Wahrnehmung und des Standpunktes; sie kann nicht objektiv und rational bestimmt werden. Haben die Juden Jesus gekreuzigt oder hat Jesus seine Kreuzigung provoziert? Was ist die Wahrheit? Pontius Pilatus hat die richtige Antwort gegeben: Was ist schon Wahrheit?

Es steht außer Frage, dass wir in einer Zeit leben, wo in vielen Wohlfahrtsstaaten die wirtschaftlichen Leistungsträger der Gesellschaft über Gebühr von staatlichen Umverteilern in Anspruch genommen werden. Vereinzelt hört man schon Aufrufe zu einem Steuerstreik seitens dieser Leistungsträger. Ich meine jedoch, dass diese Leistungsträger nicht jene Wertschöpfer sind, von denen Ayn Rand spricht und die sich von Ayn Rand angesprochen fühlen. Es sind nicht die „top 1%“, sondern vielmehr sind es die Mittelständler, die das Rückgrat vieler Volkswirtschaften ausmachen. Erfolgreiche Mittelständler wissen, dass für den Erfolg nicht nur rationales Management, sondern auch emotionale Menschenführung unverzichtbar ist. Ich würde sogar behaupten, dass erfolgreiche Mittelständler der beste Beweis sind, dass das ganze Unternehmen mehr ist als die Summe egoistischer Leistungen von Individuen.

Eine Frage steht vom Beginn des Buches im Raum: Who is John Galt? Für mich stellte sich relativ bald die Frage ein: Who is Ayn Rand?

Ayn Rand, eine gebürtige Russin, wanderte im Alter von 21 Jahren in die USA aus. Ihre Eltern verkauften Familienjuwelen, um dies zu finanzieren. Verwandtschaft in Chicago ermöglichte es ihr, nach Kalifornien, nach Hollywood zu kommen. Dort heiratete sie Frank O’Connor, eine ‚geduldige Seele‘, einen Gentleman Farmer und Künstler, der in den ersten Jahren ihrer Ehe für den finanziellen Unterhalt sorgte. O’Connor, der in Kalifornien verwurzelt war, musste später diesen Wohnsitz aufgeben, weil Ayn Rand nach New York wollte, um sich dort künstlerisch besser verwirklichen zu können. Außerdem war ihr 25 Jahre jüngerer ‚philosophischer Jünger‘ (und späterer Liebhaber) Nathaniel Branden nach New York übersiedelt und sie wollte in seiner Nähe bleiben. O’Connor’s wiederholt geäußerte Sehnsucht, für den Rest seines Lebens auf die kalifornische Ranch zurückzukehren, wurde von Ayn Rand mit den Worten “He loves New York. He hated California“ abgetan. “I swear by my life and my love of it that I will never … ask another man to live for the sake of mine”? Check your premise, Ms. Rand!

1959, zwei Jahre nach Erscheinen von Atlas Shrugged, gab Ayn Rand im Alter von 54 Jahren Mike Wallace ihr berühmtes TV Interview, bei dem sie u. a. sagte „I am the most creative thinker alive“. Zu beobachten war eine Dame, die mit der Souveränität eines geläuterten Philosophen à la Aristoteles nichts gemein hatte. Eher ein Mensch, der unruhig mit sich selbst kämpft und Schwierigkeiten hat, seinem Gegenüber in die Augen zu schauen. Eine Philosophin, deren Philosophie eher als Ergebnis von Qualen statt von Erleuchtung erscheint. Eine Frau, die in Atlas Shrugged seitenlang (und vollkommen unnötigerweise) über die weibliche sexuelle Erfüllung referierte und bei deren Beobachtung man durchaus zweifeln konnte, ob sie eine solche Erfüllung schon einmal erlebt hat.

Etwas später trat Ayn Rand bei Johnny Carson auf, wo sie ausführlich interviewt wurde. Ich habe sehr, sehr viele Johnny Carson Shows gesehen. Dies war die einzige, bei der nicht gelacht wurde.

Ayn Rand’s Verhältnis mit dem 25 Jahre jüngeren Nathaniel Branden erfuhr mehrere längere Unterbrechungen, wurde jedoch von Branden endgültig beendet, als Ayn Rand schon über 60 war. Branden teilte ihr - durchaus rational - mit, dass der Altersunterschied ein romantisches Verhältnis mit ihr nicht mehr ermöglichte und dass er schon seit langem ein Verhältnis mit einer jungen Studentin hatte. Rand schrieb einen Öffentlichen Brief, in dem sie Branden, einem langjährigen Mitstreiter des Objektivismus und Geschäftspartner von Rand, plötzlich philosophische Inkompetenz und geschäftsschädigendes Verhalten vorwarf. Privat schrieb sie Branden - etwas weniger rational -: “If you have one ounce of morality left in you, an ounce of psychological health—you’ll be impotent for the next twenty years! And if you achieve potency sooner, you’ll know it’s a sign of still worse moral degradation!”

Ayn Rand erkrankte im Alter an Lungenkrebs, dessen Behandlung hohe Kosten verursachen würde. Ayn Rand, die leidenschaftliche Gegnerin von staatlichen Sozialtransfers jeglicher Art, registrierte sich bei der staatlichen Medicare und Social Security, deren Leistungen sie in Anspruch nahm. Allerdings nicht unter ihrem Namen Ayn Rand, sondern als Ann O’Connor, ihrem sonst nie verwendeten ehelichen Namen. Sie hatte vorher wütend gegen beide Programme, die sie als Beispiele des intrusiven Staates beschrieb, protestiert. Ihre spätere Rechtfertigung war: Ärzte sind sehr teuer und kosten mehr, als man mit dem Verkauf von Büchern verdienen kann. Die Arztrechnungen hätten sie finanziell total ruiniert. Sie habe ihr Leben lang Beiträge geleistet und somit Ansprüche erworben. ‚Wohlerworbene Rechte‘ hätten das die von ihr verteufelten Parasiten genannt.

Check your premises, Ms. Rand!

Atlas Shrugged ist, wie schon gesagt, ein aufwühlender, wenn nicht sogar aufputschender und packender Roman. Es gibt hervorragende Dialoge zwischen den Wertschöpfern und den Parasiten. Die besten Antworten auf die Parasiten werden Hank Rearden in den Mund gelegt. Vor Gericht wird Hank Rearden vorgeworfen, dass sein Profit im Kontext des öffentlichen Interesses viel zu hoch ist. Rearden antwortet darauf:  “The public may curtail my profits any time it wishes - by refusing to buy my product. Any other method of curtailing profits is the method of looters - and I recognize it as such”. Thesen der gängigen Moralvorstellungen werden Gegenthesen brutal gegenübergestellt, was zum Nachdenken anregt. Trotzdem wird man nicht überzeugt, dass die gängigen Moralvorstellungen komplett falsch sind.

Das Buch ist wesentlich zu lang für eine Version des ‘Marxismus der Rechten’. Marx & Engels benötigten nur einen Bruchteil der Seiten, um ihr Kommunistisches Manifest darzustellen. John Galt brauchte 3 Stunden, um in seiner Rede seine Überzeugungen darzulegen und man darf zweifeln, ob die Zuhörer am Ende seine Rede wirklich verstanden haben. Ob sie darin etwas Positives erkannten oder das Gegenteil. Mit Sicherheit haben alle Angst verspürt. Es war eine Rede, die an Big Brother von George Orwell erinnert. Steve Jobs hingegen verstand es, bei seiner Commencement Speech an der Stanford University den Absolventen seine Philosophie in 15 Minuten rüberzubringen und anhand der Standing Ovation darf man vermuten, dass seine Rede nicht nur verstanden, sondern begeistert angenommen wurde.

Francisco d’Anconia hält eine langatmige Money Speech, in der er sein Verständnis von der Rolle und Bedeutung des Geldes für die Menschheit darlegt. Fraglich ist, ob irgendjemandem der begeisterten Zuhörer (und Leser!) aufgefallen ist, dass die Rede absolut nicht mit irgendeiner rationalen Geldtheorie vereinbart werden kann. Dies soll nicht bedeuten, dass alle rationalen Geldtheorien stimmen. Im Gegenteil, die Geldtheoretiker von heute, die mächtigen Notenbanker, sind den gutmeinenden Umverteilern von Atlas Shrugged, Wesley Mouch, Dr. Ferris & Co., nicht unähnlich. Sie bestimmen über gigantische Vermögenstransfers von reich zu arm; von Sparern zu Schuldnern. Darauf ist Francisco d’Anconia in seiner Geldromantik nicht eingegangen.

Ayn Rand versteht Atlas Shrugged als Epos im Kampf zwischen Individualismus und Kollektivismus. Individualismus und Kollektivismus sind keine Entweder-Oder, sondern Sowohl-Als-Auch Positionen. Das Kollektiv kann nur dann gut funktionieren, wenn die Individuen optimal eingestellt und frei in ihrer Entfaltung sind. Es gibt keinen materiellen und/oder immateriellen Wert in der ganzen Welt (Werte, die die Natur geschaffen hat, ausgenommen), dessen Ursprung nicht entweder im Hirn oder in den Händen eines Individuums zu finden ist (mit Rücksicht auf Fußballer und Skifahrer füge ich die Füße eines Individuums hinzu…). Gleichzeitig gibt es kein menschliches Individuum, das – wenn ganz alleine auf sich gestellt – in der Welt überleben könnte. Zumindest nach der Geburt braucht es die Unterstützung (den Altruismus) einer Mutter. N. b.: die Thematik zwischen Individuum und Kollektiv ist keine (rein) philosophische Frage. Soziologisches Verhalten ist ein Produkt der Evolution, und die Wechselwirkungen zwischen dem Individuum und der Gesellschaft sind wohl untersucht.

Wer die Debatte Individualismus vs. Kollektivismus führen möchte, ist besser beraten, die „Constitution of Liberty“ oder „The road to serfdom“ zu lesen (beide von Friedrich von Hayek). Dort werden rationale Argumente ins Rennen geführt und nicht 'unendlicher ideologischer Pallawatsch' (William F. Buckley) wie im Falle von Atlas Shrugged.

Kant sagt, dass der Mensch sich rational verhalten sollte, damit er seine happiness finden kann. Ayn Rand behauptet, dass der Mensch rational ist und dass alle jene, die nicht rational sein können, es nicht verdienen, Mensch zu sein. Check your premise, Ms. Rand! Wäre der Mensch ein rationales Wesen, dann gäbe es keine Religionen. Natürlich gibt es viele Menschen, die aufgrund ihres Intellektes, ihrer Begabung, ihrer Prägung, etc. in der Lage sind, rational zu denken und ihr Leben auf rein rationalen Prämissen aufzubauen. Vielleicht werden in Hunderten von Jahren alle Menschen dazu in der Lage sein. Dann werden wir genau verstehen, wie das Universum entstanden ist und welchen Teil wir als Menschen in diesem Universum spielen. Bis es so weit kommt, ist man besser beraten, die Wirklichkeit so zu akzeptieren, wie man sie wahrnimmt und Toleranz anderen entgegenzubringen, die sie anders wahrnehmen. Wer diese Toleranz nicht hat, muss in Kauf nehmen, einmal so verzweifelt zu enden wie Friedrich Nietzsche oder --- Ayn Rand. Es ist nicht vermeidbar, dass eine Philosophie, die nur auf das ‚Selbst‘ unter Ausschluss des ‚Anderen‘ abstellt, ihre Anhänger in Isolation und Einsamkeit enden lässt.

Abschließend eine Ayn-Rand-Einschätzung von Barack Obama, die ich für sehr treffend halte:

“Ayn Rand is one of those things that a lot of us, when we were 17 or 18 and feeling misunderstood, we’d pick up. Then, as we get older, we realize that a world in which we’re only thinking about ourselves and not thinking about anybody else, in which we’re considering the entire project of developing ourselves as more important than our relationships to other people and making sure that everybody else has opportunity – that that’s a pretty narrow vision. It’s not one that, I think, describes what’s best in America.”

Dienstag, 15. April 2014

Mythos Mittelstand

"Der Mittelstand könne materiell in seiner Bedeutung nicht voll ausgewogen werden, sondern er sei viel stärker ausgeprägt durch seine Gesinnung und eine Haltung im gesellschaftswirtschaftlichen und politischen Prozess, sagte Ludwig Erhard 1955 auf einer Arbeitstagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft in Bad Godesberg.

Die Handlungsbedingungen für die Wertschöpfung verändern sich, wenn Unternehmen den Kapitalmarkt bedienen müssen. Dort ist das oberste Ziel die Überweisung an einen Shareholder. Die Wertschöpfung ist bei Unternehmen an der Leine des Kapitalmarktes ein Mittel zur Generierung des Shareholder Value. Wenn gar Investoren in Unternehmen einsteigen, an denen sie kein strategisches Interesse haben, sondern ausschließlich am kurzfristigen Cash-Flow für ihren Return on Investment, ob durch Unternehmensteilungen oder Ausschüttungen, interessiert sind, wird das Desinvestment zum Programm für Eigenkapitalverzinsung. Die Handlungsbedingungen des Kapitalmarktes haben das oberste Unternehmensziel verändert. Wenn Wertschöpfung – in industriell produzierenden Unternehmen – noch stattfindet, ist sie Mittel zur Produktion von Cash-Flow für den Kapitalmarkt.

Für den Manager der mittelständischen Wertschöpfung, ob Eigentümer oder Angestellter, ist der Cash-Flow ein Instrument zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit; und nicht zur Sicherung der Ausschüttung an den Investor. Die Unternehmenssteuerung hat daher mittel- und langfristige Instrumente und die Unternehmensleitung stellt sich der regionalen und der Verantwortung für nachhaltige Unternehmensaktivitäten".

Ausschnitte aus diesem Artikel.