Die Zeiten des mehr oder weniger uneingeschränkten freien Welthandels nähern sich einer gewissen Zeitenwende. Die Weltfinanz tut sich zunehmend schwer, die strukturellen Ungleichgewichte in den Handels- und Leistungsbilanzen zu finanzieren.
Im Welthandel haben sich "have's" und "have-not's" herauskristallisiert. China und Deutschland sind klassische "have's"; die USA und EU-Südländer sind klassische "have-not's".
Die "have's" sind Exportweltmeister, bauen Geldreserven auf und ziehen Produktionsjobs an sich. Die"have-not's" sind Importweltmeister, bauen externe Verschuldung auf und verlieren Produktionsjobs. Die "have-not's" dürfen stolz darauf sein, dass sie Arbeitsplätze anderswo schaffen. Die "have's" müssen feststellen, dass sie die "have-not's" finanzieren müssen, damit ihr eigenes Wirtschaftswachstum nicht einbricht.
Natürlich ist der freie Welthandel prinzipiell nur zu begrüßen, weil er "Wealth of Nations" schafft (Hebelwirkung der jeweiligen Wettbewerbsvorteile eines Landes und Effizienzsteigerung durch rasant expandierende Arbeitsteilung). Dieses System funktioniert allerdings nur solange für alle Beteiligten gut, solange der Welthandel über den Wirtschaftszyklus hinweg mehr oder weniger strukturell ausgeglichen ist. Ansonsten werden die Einen auf Dauer reicher und die Anderen ärmer.
Bespiel USA: seit nunmehr 2005 haben die USA jedes Jahr 2.000 Mrd. USD (und mehr!) importiert und deren Exporte decken gerade einmal 75-80% der Importe. Dienstleistungen und Sonstige Transfers hatten eine gewisse positive Auswirkung, aber dennoch betrug das Leistungsbilanzdefizit der letzten 10 Jahre im Jahresdurchschnitt 578 Mrd. USD!
Ein Leistungsbilanzdefizit stellt den Vermögenstransfer eines Landes zum Rest der Welt dar. So betrachtet haben die USA in den letzten 10 Jahren jährlich 578 Mrd. USD (netto!) an Vermögen ins Ausland transferiert.
Man vergleiche die USA mit beispielsweise Italien und Griechenland. Das "gebeutelte" Italien deckt mit seinen Exporten immer noch 90-95% seiner Importe ab. Griechenland hingegen erscheint hoffnungslos mit einer Export-/Importdeckung von nur 40-45%.
Im Interesse einer ausgewogeneren Weltwirtschaft wird man wahrscheinlich dazu übergehen müssen, die Leistungsbilanzen der einzelnen Länder genauer unter die Lupe zu nehmen. Eine mögliche Kennziffer wäre "Leistungsbilanzsaldo in % vom Bruttonationalprodukt".
Wenn beispielsweise eine Leistungsbilanzdefizitquote von 3% überschritten wird, könnte beispielsweise der IWF diesem Land signalisieren "aufpassen; es könnte sein, dass etwas mit Eurer Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr stimmt!"
Wenn sie beispielsweise 5% überschreitet, dann sollte das Signal sein "Vorsicht! Sie bewegen sich auf dünnem Eis! Korrekturmaßnahmen sind erforderlich!"
Im Umkehrschluß müsste man ähnliche Signale für die Länder mit großen Leistungsbilanzüberschüssen entwickeln. Kein Land hat einen Nutzen daraus, strukturelle und dauerhafte, sehr hohe Leistungsbilanzüberschüsse zu haben, weil das bedeutet, dass dieses Land sehr viel Kapital exportieren muss (mit dem damit verbundenen Risiko).
Die Politik wird dieses Thema wahrscheinlich von selbst nicht aufgreifen wollen, weil jedwede "Steuerung" des Welthandels sofort als "Eingriff in die Marktwirtschaft" wahrgenommen werden wird (und kein Politiker wird sich diesen Vorwurf gefallen lassen wollen). Deswegen müssen die freien Märkte von sich aus die Politik auf dieses Thema hinweisen, damit sie auf Dauer die Vorteile des freien Welthandels für sich nutzen können.